B. Davies, P. Spät: Der König der Vagabunden
Nein, das ist kein Buch über rührige Tippelbruder-Romantik. Es ist ein Comic über den Anarchisten Gregor Gog, der in den 1920er Jahren getreu dem Motto Wo der Bürger aufhört, beginnt das Paradies! versuchte, die Landstreicher in Deutschland zu politisieren. Verlagstext: Stuttgart, Pfingsten 1929: Die Polizei errichtet Straßensperren, in der Stadt sind die Vorhängeschlösser ausverkauft. Gregor Gog (1891–1945), landesweit berühmt als der »König der Vagabunden«, trommelt die Tippelbrüder und -schwestern zum Internationalen Vagabundenkongress zusammen und ruft den »lebenslangen Generalstreik« aus. Zwei Jahre zuvor gründete der ehemalige Matrose Gog die »Bruderschaft der Vagabunden«, um Obdachlosen zu helfen und sie politisch zu organisieren. Im gleichen Jahr veröffentlichte Gog mit „Der Kunde“ die erste Straßenzeitung Europas… „Der König der Vagabunden“ schildert das abenteuerliche und entbehrungsreiche Leben der Vagabunden in den 1920er Jahren und enthält viele O-Töne aus jener Zeit. Ein Comic über Armut und Hoffnung, Freundschaft und Protest – und ein vergessenes Kapitel der Weimarer Republik.
So ist es. Selbst Kenner der politischen und sozialen Bewegungen der damaligen Zeit werden in diesem Album Neues erfahren. 1926 war Berlin mit 4 Millionen Einwohnern die fünftgrößte Stadt der Welt. Es gab allein dort mehr als 60 Obdachlosenasyle. Die größte Einrichtung verfügte über 5000 Betten. In den 1920er Jahren gab es in Deutschland rund 70.000 Vagabunden – bis zur Machtergreifung durch die Faschisten 1933 wuchs ihre Zahl auf eine halbe Million an. Jede Menge Menschen also, die man agitieren konnte. Schon damals gab es viele Projekte für alternatives Leben. Kommunen und Ökohöfe entstanden in ganz Europa. Sie wurden zum Treffpunkt von Künstlern, Revolutionären, Vegetariern und anderen Aussteigern wie Erich Mühsam, Johannes R. Becher oder Theodor Plievier.
Bea Davies zeichnet die Geschichte von Gregor Gog in Schwarzweiß. Sie hält sich nicht viel mit Hintergründen auf. Das braucht sie auch nicht, denn sie bringt die einzelnen Szenen immer wieder mit wenigen Strichen auf den Punkt. Dazu kommt ein lebendiges Layout mit abwechslungsreicher Seitenaufteilung. Autor Patrick Spät wiederum gliedert Gogs Leben in kleine Abschnitte, die sich schnell – manchmal sprunghaft – aneinanderreihen. Sie gehen nicht sehr in die Tiefe, verschaffen aber einen Überblick über die Vagabundenbewegung und das wechselhafte Leben von Gog. Es kommt beides rüber: Die Freiheit von bürgerlichen Zwängen während des Vagabundenlebens, und die Repression, die die Menschen durch Bürokratie und Obrigkeit ausgesetzt waren. Mit einer ausführlichen Biografie im Anhang.
Beatrice Davies, Patrick Spät: Der König der Vagabunden
160 SW-Seiten, ISBN 978-3-96445-015-9, avant-Verlag, 25,- Euro